Kari Gercke

Angelabenteuer in Lappland

Auf Großlachs & Co. am Teno

Kari Gercke:

Angelabenteuer in Lappland

Taschenbuch,

232 Seiten

zahlr. sw-/farbige Abb.

15,80 Euro

ISBN 978-3-937507-28-6 


Textprobe / Auszug

Mein erster Lachs 

 

Es gibt Augenblicke im Leben, die man nicht vergessen kann und will. Beim passionierten Angler gehört dazu sicherlich der Augenblick des ersten selbstgefangenen Lachses.

 

Oftmals kehrt ein Lachsfischer an den Fluss zurück, an dem er zum ersten Mal den ihn elektrisierenden Anbiss eines Lachses erleben durfte und womöglich seinen ersten Fang in den Händen halten konnte. Auf welche Art und Weise und mit welchem Köder man seinen ersten Lachs fing, spielt dabei für viele Angler keine so große Rolle. Eine Ausnahme bilden vielleicht diejenigen Lachsfischer, die zum ersten Mal mit einer selbstgebundenen Fliege ihren Fisch überlisten konnten. Dieser Augenblick ist wohl für einen ambitionierten Lachs­- fliegenfischer das höchste der Gefühle. 

 

Im Allgemeinen kann man aber davon ausgehen, dass jeder Angler, der zum ersten Mal einen wilden Lachs auf die Schuppen legen konnte, sich einfach nur wahnsinnig freut und diese mit Stolz gepaarte Freude mit jedem teilen möchte, der ihm über den Weg läuft.

Auch mir ist es so ergangen. Bis zum heutigen Tage kann ich mich an jede Einzelheit erinnern. Aber der Reihe nach ...

 

Meine erste Reise zum mächtigen Teno im äußersten Norden Finnlands war reiner Zufall. Im Sommer 1990 war ich, wie jedes Jahr, wieder zu Besuch bei meinen Großeltern in Rovaniemi am Polarkreis. Wie üblich war ich fast jeden Tag beim Fischen, beim Spinnfischen auf Bachforellen und Äschen oder auch beim Bootsfischen auf Hechte und Barsche. Angeln auf Lachse war mir gänzlich fremd. Auch das Fliegenfischen, in welcher Form auch immer, war für mich zu dieser Zeit ein Buch mit sieben Siegeln.

Eines Morgens rief mich mein alter Angelfreund Kaitsu an und fragte, ob ich Lust hätte, mit zum Teno zu fahren. Bis jetzt wäre man zu dritt, hätte aber noch Platz für einen Passagier. Das Angebot war außerordentlich verlockend und ich sagte zu.

Zurückdenkend muss ich zugeben, dass ich damals nicht die geringste Vorstellung davon hatte, was mich erwartet. Niemals hätte ich mir träumen lassen, was diese erste Reise zum Teno auslösen würde. 

 

Da stand ich nun also zum ersten Mal am Ufer des sagenumwobenen Flusses. Dass der Teno einer der größten und besten Lachsflüsse in Europa ist, war mir damals nicht bekannt. Noch nie hatte ich Entsprechendes über den Fluss gehört oder gelesen. Ich hatte schlichtweg keine Ahnung.

Von Lachsen hatte ich natürlich schon gehört und gelesen – und natürlich reichlich Lachs verzehrt. Mein Großvater war ein talentierter Geschichtenerzähler und ich ein geduldiger Zuhörer, wenn er mir von früheren, goldenen  Zeiten erzählte. So berichtete Großvater mir von seinen Angelabenteuern aus den Vorkriegsjahren in der Gegend des heutigen Petsenga im Westen der jetzt russischen Kolahalbinsel. Vor dem Krieg lebte mein Großvater mit Familie im früheren Petsamo (Petsenga), das seinerzeit noch zu Finnland gehörte. Er fischte häufig auf die damals berühmten Paatsjoki- und Petsamolachse. Großvater zeigte mir auch alte Fotos von Lachsen des längsten Flusses Finnlands, dem Kemi­joki, der bis 1946 einer der ertragsreichsten Lachsflüsse ganz Europas war.  Nur der Rhein konnte in früheren Zeiten da noch mithalten. Leider wur­de der uralte, großwüchsige Lachsstamm des Kemijoki durch Staudammprojekte unwiderbringlich zerstört. Dies blieb leider kein Einzelfall.

All das war mir bekannt und stimmte mich traurig. Was müssen das für Zeiten gewesen sein, als es in vielen Flüssen Westeuropas vor Lachsen nur so wimmelte.

 

Irgendwo hatte ich gelesen, dass man Lachse hauptsächlich mit der Fliege befischt. Über jegliche andere Angeltechniken auf den Lachs wusste ich so gut wie nichts. Ich wusste nichts über den Lebenszyklus der Lachse, nichts über die anadromen Verhaltensweisen der Atlantischen Lachse. Ich wusste nichts über das traditionelle Schleppfischen am Teno, nichts über das Spinnfischen auf Lachs, und schon gar nichts über das Fliegenfischen.  Der Teno als Lachsfluss war mir gänzlich unbekannt. Ich hatte nicht die geringste Ahnung über die Geschichte des Teno, keine Ahnung vom Flussverlauf, keine Ahnung von Bestimmungen und Statistiken. Ich stand am Ufer eines großen Rätsels!

Mit der Fliege ...

 

Meine drei Angelkameraden, alles erfahrene Petrijünger, bemerkten meine sichtliche Unsicherheit und bemühten sich redlich, mir das Fischen auf Lachs irgendwie verständlich zu machen. Ich weiß noch, wie ich mir erstaunt die langen Lachsfliegengerten anschaute und auch die eine oder andere Fliegenrolle in die Hand nahm, um diese rätselhaften Dinger genauer unter die Lupe zu nehmen. Ebenso verhielt es sich mit den Lachsfliegen. Vesa, der routinierteste Lachsfliegenfischer unter uns, hielt mir seine Fliegenschachteln unter die Nase und ich konnte mir nicht erklären, wieso man mit solchen Gebilden Lachse fangen konnte.

Da ich noch nie zuvor eine Fliegenrute, geschweige denn eine Lachsfliegenrute in der Hand gehalten hatte, erklärte sich Vesa bereit, mir Unterricht zu geben. Er drückte mir eine ca. 14 Fuß lange Rute in die Hand und erklärte mir die Grundzüge der Handhabung. Dass man das Fliegenfischen nicht von heute auf morgen erlernt, war mir sonnenklar. Es gab nur die Möglichkeit eines Schnellkurses. So weit ich mich erinnern kann, hatte ich damals ungefähr eine Stunde Zeit, um mich mit dem Werfen vertraut zu machen. Alle anderen »Kleinigkeiten« würde mir Vesa dann an Ort und Stelle zeigen. Dann ging es schon los zum Fischen. 

 

Mit dem Boot fuhren wir zu einer sandigen Halbinsel, ungefähr 1 km flussabwärts unserer komfortablen Hütte gelegen. Kaitsu, mein alter Weggefährte bei unzähligen Angeltouren, klärte mich über die Örtlichkeiten auf. Dalvadas heißt dieser Ort, ungefähr auf halber Strecke zwischen Karigasniemi und Utsjoki gelegen und ist, wie ich erst viel später erfuhr, ein ungemein beliebter Anlaufpunkt für Fliegenfischer. Hier in Dalvadas beschreibt der Fluss eine enge S-Kurve und die Halbinsel ist zu Fuß nur bei niedrigem Wasserstand erreichbar. Dazu muss man einen Seitenarm durchwaten, wo bei günstigem Wasserstand auch Lachse aufsteigen. Der Hauptstrom verengt sich an der S-Kurve zu einer reißenden Stromschnelle, die nach ca. 200 m in einem ruhigen Pool en­det. Eine ideale Strecke zum Fliegenfischen! Ich war begeistert, aber immer noch ahnungslos, was das Fliegenfischen betraf.

Vesa gesellte sich zu mir und stellte fachmännisch mein Gerät zusammen. Obwohl ich sehnsüchtig an meine Spinnrute dachte, war ich doch Feuer und Flamme, das Fischen mit der Fliege zu erlernen. Dass ich dabei einige Stufen des Lernprozesses übersprang und gleich bei der »Königsdisziplin« das Fliegenfischen erlernen wollte, war mir in diesem Augenblick relativ egal. Kein Meister fällt vom Himmel, heißt es so oft, aber Ausnahmen bestätigen die Regel.

 

Meine drei Angelfreunde verteilten sich am oberen Ende des Stromschnellenabschnittes. Warum sie sich dabei nach jedem Wurf langsam, Schritt für Schritt, flussabwärts bewegten, wurde mir erst sehr viel später klar. Alles sah sehr harmonisch und rhythmisch aus. Ich war wie hypnotisiert und verfolgte fasziniert das lautlose Fischen meiner drei Kameraden. Das will ich auch können, dachte ich staunend und war unglaublich beeindruckt von dieser stilvollen Angeltechnik.

Vesa hatte mir auf der Halbinsel eine kleine, dunkle, einschenklige Fliege in die Hand gedrückt mit der Bemerkung, ich solle sie mit einem Schlaufenknoten an das Vorfach knüpfen. Zum Glück kannte ich Schlaufenknoten (z.B. Duncan Loop) vom Spinnfischen. Alle anderen, speziellen Fliegenknoten waren mir zu dieser Zeit noch unbekannt. Wenn ich mich recht erinnere, gab mir Vesa eine schwarze Haarfliege mit einem roten Punkt am Hakenschenkel. Dass dieses rote Etwas beim Lachs einen Beißreflex auslösen kann, war mir damals neu. Ebenso unbekannt war mir jegliche Taktik und Vorgehensweise beim Fischen mit der Fliege auf Lachs.

Stunden waren vergangen. Mittlerweile hatte ich begriffen, dass ein bestimmter Rhythmus von Nöten war, um die Fliegenschnur mit der Fliege am Vorfach­ende auf eine gewisse Distanz zu werfen. Langsam begann ich die Abläufe des Werfens zu verstehen und schaffte es tatsächlich, vielleicht 15 m weit zu werfen.  Da ich noch nie etwas von Rollwurf, Fallschirmwurf, Schlangenwurf, Unterhandwurf, geschweige denn Speycast oder ähnlichem gehört hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als den Überkopfwurf zu üben. Mehr schlecht als recht.

Zu meinem Glück behinderte kein Baum und Strauch meine Wurfkünste. Ich warf ohne Pause. 

Ein Anbiss – was nun?

 

Arska, der dritte im Bunde meiner Kameraden, rief mir zu, dass sie kurz zur Hütte fahren wollten, um Proviant und Brennholz zu holen. Ob ich alleine klar käme, fragte er mich und ich winkte ihm zustimmend zu. Dann wollen wir mal, sprach ich mir Mut zu und wollte es mal an dem Nebenarm versuchen. Die Stelle sah sehr verlockend aus. Oberhalb der Stromschnelle befand sich eine traditionelle Holzkonstruktion für das Netzfischen, was mich aber nicht sonderlich störte. Ich warf meine Fliege, Wurf um Wurf, immer wieder. Es klappte immer besser, und Spaß machte es auch noch. Zwischendurch schaute ich mir die Gegend an, verfolgte einen Trupp Möwen und genau in dem Augenblick, als ich einem Rauhfußbussard hinterherschaute, ruckelte es plötzlich an der Fliegengerte. Was war denn das, durchfuhr es mich und ich warf noch einmal. Gespannt verfolgte ich die Drift der Fliege, und dann kam auch schon der Anbiss. Ich war total perplex und konnte es kaum glauben – ich hatte einen Lachs am Haken. Guter Rat war jetzt teuer. Hilfesuchend schaute ich mich um: Von den Jungs war nichts zu sehen und, oh Schreck, kein Kescher und kein Gaff in Griffnähe.

Okay, sagte ich mir grimmig, jetzt musst du irgendwie alleine klarkommen. Nur die Ruhe, bloß keine Hektik, sprach ich mir selber Mut zu und versuchte, den Lachs flussaufwärts zu dirigieren. Der Lachs war dagegen und begann eine Sprungserie, die auch mich in Hochspannung versetzte. Bitte, bitte, bleib am Haken, flehte ich und beschloss, diesen wahnsinnigen Sprungartisten so schnell wie möglich ans Ufer zu bugsieren. Mir war jedes Mittel recht.

Ich kurbelte, zog mit aller Macht. Es war ein Wunder, er war immer noch am Haken. Nichts zu sehen von meinen Freunden. Der Lachs zappelte an der Fliege. Nur noch ein paar Meter, dann hatte ich es geschafft. Da lag er auf den Ufersteinen, ein richtiger Lachs. Er zappelte und zappelte und da passierte es – die Fliege saß nicht mehr im Maulwinkel, der Fisch war ab! Wie ein Panther sprang ich auf die Ufersteine, kriegte ihn zu fassen, warf ihn auf die Böschung. Er zappelte immer noch. Irgendwie bekam ich einen halbgroßen Stein zu fassen und schlug ihn ab.

 

Ich war wie betäubt. Ich konnte es kaum fassen. Vor mir lag eine Schönheit. Kein Riese, vielleicht um die 2 kg, aber ein Lachs. Mit der Fliege. Beim ersten Besuch am Teno. 

Meine Kameraden kamen zurück zur Halbinsel und ich reckte ihnen mit stolzer Brust meinen Fang entgegen. Mit sichtlichem Respekt gesellten sie sich zu mir und gratulierten mir herzlich. Es war der erste Lachs unseres Aufenthaltes und ausgerechnet mir als Neuling gelang es, einen Lachs auf die Schuppen zu legen. Pures Anfängerglück. 

Von nun an war ich motiviert bis in die Haarspitzen und hatte am selben Abend noch einen Anbiss. Wieder kam der Anbiss aus heiterem Himmel. Dieser Lachs war größer, so groß, dass auch meine Freunde mit dem Fischen aufhörten und mir aufgeregt am Ufer Tipps gaben. Ungefähr zehn Minuten lang war die Fliegenrute zum Halbkreis gebogen und der Lachs zeigte sich in seiner vollen Größe. Ich erschrak fürchterlich! Die Jungs riefen etwas von 10 kg oder mehr. Was für spannungsgeladene Momente. Leider war ich damals noch zu unerfahren und wollte den Lachs mit Gewalt ans Ufer ziehen. So passierte genau das, was nicht passieren durfte: Er konnte sich vom Haken befreien und verschwand auf Nimmerwiedersehen. 

Von diesem Tag an war es um mich geschehen!

 

Im Laufe der Jahre kehrte ich ich immer wieder an den Fluss zurück, an dem ich meinen ersten Lachs fing. Etliche Male fuhr ich als »Schneider« nach Hause. Aber all dies machte mir nichts aus. In den Wintermonaten studierte ich die Fachliteratur und lernte, lernte und lernte.

Ich verschlang geradezu alles über das Lachsfischen und über das Fliegenfischen. Jedes Jahr lernte ich dazu und konnte im Sommer am Teno mein theoretisches Wissen in die Praxis umsetzen. Obwohl das Fliegenfischen mir sehr viel Spaß macht, angle ich aber auch weiterhin mit der Spinnrute auf Lachs und andere Fischarten. Was gibt es spannenderes, als mit einer ultraleichten Spinnrute und kleinen Schwimmwobblern Bachforellen aufzuspüren. Oder auch auf einem wunderschönen See in Lappland in einem Ruderboot entspannt Barsche zu twistern.  Angeln ist ein wunderschönes Hobby und ein ewiger Lernprozess. Der eine fischt lieber mit der Pose auf Karpfen, der andere sitzt lieber im Boot und fischt mit der Hegene auf Renken. Jedem das Seine.

Ich lerne bis zum heutigen Tage und bin mir sehr bewusst, dass ich niemals perfekt sein werde ...